
Schmerz und Leid – körperlich und seelisch – das ist das Herzstück vom schiitischen Ashura-Ritual. Durch diese Erlebnisse tauchen die Gläubigen noch mal tief in die Qualen von Imam Hussein ein. Für sie ist das nicht einfach nur ein Ritual, sondern ein echtes Zeichen von Trauer und Hingabe, das sie noch enger mit seinem Kampf für Gerechtigkeit verbindet. So wird Ashura zu einem starken Moment der Erinnerung und Gemeinschaft.
Jedes Jahr am 10. Muharram feiern Millionen Schiiten rund um die Welt Ashura. Die größten Zusammenkünfte sind im irakischen Kerbela und Nadschaf, wo Tausende Pilger zum Grab von Hussein kommen, um ihren Respekt zu zeigen. Aber auch im Iran, Libanon, Pakistan, Indien, Bahrain und in schiitischen Gemeinden in Europa, Nordamerika und Australien gibt es wichtige Rituale. 2025 fällt Ashura Mitte Juli. Klar, wie genau gefeiert wird, hängt vom Land und den jeweiligen Traditionen ab – aber im Grunde dreht sich alles um Trauer und Gedenken.
Historischer und religiöser Kontext
Am 10. Muharram 680 ereignete sich ein Ereignis, das den Lauf der islamischen Geschichte für immer veränderte: die Schlacht von Kerbela. Imam Hussein, der Enkel des Propheten Mohammed, erhob sich mit einer kleinen Gruppe gegen die Armee des Kalifen Yazid I. Für die Schiiten ist Yazid ein Symbol eines ungerechten und grausamen Herrschers. In der Wüste von Kerbela wurden Hussein und seine Gefährten mit Verrat, Durst und Tod konfrontiert. Diese Tragödie, Ashura, ist zu einem Symbol des Kampfes gegen die Tyrannei geworden und inspiriert jährliche Trauerrituale.
Hussein ist sozusagen der dritte Imam bei den Schiiten und direkt verwandt mit dem Propheten. Für viele Schiiten ist er total wichtig, weil er für Gerechtigkeit eingestanden ist – und zwar bis zum Äußersten, selbst wenn’s sein Leben gekostet hat. Deshalb gilt er als echtes Vorbild.
Seine Familie musste viel Leid ertragen – Kinder starben, Frauen wurden gefangen genommen. Dies berührte die Menschen tief und verband sie noch stärker mit Kerbela. Sein Martyrium wurde für sie zum wahren Herzen ihrer Spiritualität und Kultur, zu dem, was die gesamte Gemeinschaft zusammenhält.
Für die Schiiten ist der Schmerz von Ashura nicht bloß Traurigkeit, sondern etwas viel Tieferes, eine wirklich spirituelle Sache. Sie nehmen an Ritualen teil, um Husseins Leid nachzuempfinden und zu zeigen, dass sie voll und ganz auf seiner Seite stehen. Es hilft ihnen, sich selbst zu verstehen und gibt ihnen Kraft. Und erinnert alle daran, dass Ungerechtigkeit nicht toleriert werden kann. So bleibt die Erinnerung an Kerbela in ihren Köpfen und Herzen und gibt ihnen Halt und Mut im Leben.
Schmerz und Leid in Aschura-Ritualen weltweit

Ashura – das ist nicht einfach irgendein religiöses Event. Das ist ein zutiefst emotionaler Moment für viele Schiiten. Da kommen Tausende zusammen, um ihre Trauer über das, was mit Imam Hussein passiert ist, gemeinsam auszudrücken. Man sieht Menschen, die sich im Takt auf die Brust schlagen – das nennt sich Sine-Zani. Das ist keine Show, das kommt von ganz tief innen. Da geht’s um echten Schmerz, um Verbundenheit, um Erinnerung. Und sie weinen, singen diese tieftraurigen Elegien, die sogenannten Nokha. In den Texten geht’s um Husseins Leid und seinen Tod – und ja, die treffen einen echt mitten ins Herz. Man hat fast das Gefühl, man ist selbst dabei, spürt diesen Schmerz mit jeder Faser. Und Theateraufführungen – Ta’zieh, die die Ereignisse von Kerbela dramatisch wiedergeben, verleihen dem Ritual eine noch tiefere spirituelle Resonanz.
Selbstgeißelung wie Tatbir (Schnittwunden am Kopf) und Zanjeer-Zani (Schläge auf den Rücken mit Ketten und Klingen) ist ein kontroverses Thema. Für manche ist es ein Symbol der Bereitschaft, im Gedenken an Hussein ihr Blut zu vergießen; für andere ist es ein Extrem. Diese Praktiken sind im Irak, in Pakistan und einigen Teilen Indiens üblich. Oftmals reichen sie von symbolischen Gesten bis hin zu echten Verletzungen. Für viele Schiiten ist dies ein Ausdruck tiefer Hingabe, innerhalb der Gemeinschaft wird darüber jedoch lebhaft diskutiert.
Ashura-Rituale können von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Im Iran beispielsweise liegt der Schwerpunkt auf Ta’ziya und geordneten Prozessionen – Selbstgeißelung kommt nur selten vor. Doch in Kerbela (Irak) ist die Trauer besonders intensiv und es gibt Tatbir. Im Libanon haben Rituale aufgrund des Einflusses der Hisbollah oft einen politischen Unterton und heben die kollektive Trauer hervor. In Pakistan und Indien wird extremes Zanjeer-Zani praktiziert, obwohl mancherorts bereits zu modernen Formen übergeht – beispielsweise werden anstelle von Blutspenden Veranstaltungen zur Blutspende organisiert, was einen moderneren Ansatz widerspiegelt.
Schmerz und Leid: Physische und spirituelle Aspekte
Körperlicher Schmerz während Ashura ist für manche nicht nur Teil des Rituals, sondern ein wirklich wichtiges, sogar heiliges Element. Tatbir, Zanjir-Zani – ja, es kann entweder eine leichte symbolische Geste oder eine echte blutige Selbstaufopferung sein. Die Leute machen das nicht zur Schau. Für viele ist dies eine Möglichkeit, Husseins Schmerz zumindest einen Schritt näher zu kommen und ihn selbst zu spüren. Es ist ein Akt der Hingabe ohne Vorbehalt. Jemand sagt später: Ja, es war schmerzhaft, aber die Seele schien gereinigt. Der Schmerz wird zu einer Form des Glaubens, fast zu einem Gebet.
Aber der Schmerz ist nicht nur körperlicher Natur. Es gibt auch seelisches Leid. Wenn die Nokha erklingen, diese traurigen Gedichte über Durst, Einsamkeit und den Tod Husseins, sind viele Menschen zu Tränen gerührt. Manche Menschen weinen leise, andere schluchzen laut – und das ist normal. Es ist nicht nur Trauer – es ist Verbundenheit. Durch diese gemeinsame Trauer scheinen die Menschen den in Kerbela Gefallenen näher zu kommen. Dies ist keine Aufführung, sondern eine lebendige Erinnerung. Diese Art der Trauer bricht nicht – sie sammelt sich. Erinnert uns daran, wofür Hussein stand: Gerechtigkeit, Würde.
Ashura-Rituale sind sowohl eine psychologische Befreiung als auch ein Weg zur Reinigung. Durch Schmerz, Tränen, durch geteilte Trauer lässt der Mensch los, was ihn innerlich bedrückt. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl – man ist nicht alleine, es gibt Menschen um einen herum, denen es genauso geht, die die gleichen Gefühle haben. Es ist ein Ort, an dem Sie verletzlich sein und verstanden werden können. Und darin liegt die Macht. In solchen Momenten wird nicht nur der persönliche Glaube gestärkt, sondern auch das, was die gesamte Gemeinschaft zusammenhält: eine gemeinsame Vergangenheit, Schmerz, Erinnerung. Alles, was uns zu dem macht, was wir sind.
Kontroversen und unterschiedliche Perspektiven

Selbstgeißelung an Ashura – Praktiken wie Tatbir und Zanjir-Zani – ist eine schwierige Sache, und das nicht nur symbolisch. Tiefe Schnitte, Blut, Ketten mit Klingen – all das ist real, und die Folgen sind auch real: Kontamination, Infektion, insbesondere wenn alles in einer Menschenmenge und ohne Sterilität geschieht. Selbst innerhalb der schiitischen Gemeinschaft werden diese Rituale heiß diskutiert. Manche betrachten sie als einen aufrichtigen Ausdruck der Hingabe an Hussein, als eine Bereitschaft, im Gedenken an sein Opfer ihr Blut zu vergießen. Und manche, wie Ayatollah Sistani, sind dagegen: Sie sagen, es sei gefährlich für die Gesundheit und schlecht für das Image des Islam – von außen wirke es zu wild.
Tatsächlich können solche Rituale für Außenstehende – insbesondere im Westen – schockierend wirken. In Kulturen, in denen der Schmerz fast vollständig aus dem spirituellen Leben verbannt ist, in denen alles steril, rational und nach einem bestimmten Muster ablaufen muss, ist es schwer zu verstehen, wie man um des Glaubens willen bewusst Leiden ertragen kann. Hieraus entstehen Missverständnisse und Stereotypen. Aber wenn man von innen schaut – nicht durch die Augen eines Passanten, sondern durch die Augen eines Menschen, der fühlt – wird alles anders. Der Schmerz hier hat nichts mit Grausamkeit zu tun, sondern mit Erinnerung, mit Verbundenheit, mit Tiefe.
Das kann man erst verstehen, wenn man erkennt, dass Ashura für diese Menschen nicht nur eine Tradition ist, sondern eine Möglichkeit, der Vergangenheit nahe zu sein und sie im Körper und nicht nur im Kopf zu leben. Und während die einen nach Kompromissen suchen – Blut durch Spenden ersetzen, sich mit der Handfläche auf die Brust schlagen, anstatt Ketten anzulegen –, gehen andere weiterhin den Weg des Schmerzes, denn für sie ist dies die Sprache der Loyalität. Und dabei geht es nicht um Wildheit, sondern um eine Wahl. Und eine Erfahrung, für die nicht jeder bereit ist.
Schlussfolgerung
Während Ashura, wenn Tatbir oder Zanjeer-Zani beginnt, ist es für viele nicht mehr nur ein Ritual – es ist ein Übergang in einen anderen Zustand. Kettenhiebe, scharfe Klingen, Blut – all das löst im Körper Prozesse aus, die sich nicht immer mit Alltagssprache erklären lassen. Endorphine, verändertes Bewusstsein, manche würden es „Subraum“ nennen. Dies ist ein Zustand, in dem körperlicher Schmerz nicht mehr nur Schmerz ist, sondern zu einem Kommunikationskanal wird. Mit Hussein, mit seinem Leiden, mit seiner Entscheidung.
Hier ist Schmerz keine Strafe und auch keine Show. Dies ist die Sprache der Loyalität. Dies ist eine Möglichkeit, über das Gewöhnliche hinauszugehen und Angst, Müdigkeit und Fleisch zu überwinden. Viele, die an diesen Ritualen teilnehmen, suchen nicht nach Aufmerksamkeit – sie suchen nach Reinigung. Sie gehen dem Schmerz bewusst und mit voller Hingabe entgegen, um etwas Größerem näher zu kommen, etwas, das sich nicht mit Worten erklären lässt. Dieser Schmerz ist kein Zufall – es geht um Disziplin, um Respekt, um tiefe persönliche Arbeit.
Für sie ist dies eine Möglichkeit, nicht nur eine Erinnerung, sondern Gerechtigkeit zu leben. Leite es durch den Körper, durch das Blut, durch den Schrei. Es ist Katharsis, es ist Befreiung, es ist eine Rückkehr zu sich selbst und zu den eigenen Wurzeln. Es bringt Menschen zusammen – im Raum, auf der Straße, in der Gemeinschaft – denn geteilter Schmerz bringt Menschen einander näher als alle Worte.
Und selbst wenn es für jemanden von außen wild oder unverständlich erscheint. Aber wer weiß, wie echter Glaube aussieht? Wer kann beurteilen, wo die Grenze zwischen Leiden und Befreiung verläuft? Diese Menschen haben ihren Weg gewählt. Es ist kompliziert, aber es ist wahr. Und es lohnt sich, zumindest zu versuchen, diese Wahrheit anzuhören – mit Respekt, ohne zu urteilen.
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